Gastbeitrag von ANKE KNOPP (@nowanda1)
Vorweg die Beantwortung der Frage: Ja, Open Government ist ein Modethema. Die noch kleine Avantgarde treibt die Inhalte seit Jahren vor sich her, die zur Zeit sehr gefragt sind: Öffnung von Regierungs- und Verwaltungshandeln, Transparenz, Partizipation, Digitalisierung, Interaktion mit dem Souverän, Revitalisierung der Demokratie, Innovation.
Damit sind die Werkzeuge von Open Government Antworten auf die großen Herausforderungen, vor denen unsere Gesellschaft steht: Gestaltung der digitalen Transformation, Globalisierung, Klimawandel, Demographischer Wandel, Spaltung der Gesellschaft in unterschiedliche Gegensätze u.a. auch digital und analog. Wir erleben in vielem einen Kulturwandel, eine Zeitenwende. Eine derartige Transformation haben zuletzt die Menschen von vor rund einhundert Jahren gestemmt, als die Welt elektrifiziert wurde und das Gaslicht verschwand. Stellen wir uns einmal kurz vor, was seither alles mit Hilfe von Strom entstanden ist: unsere Welt hat sich kolossal verändert. Ohne Strom etwa gäbe es keine Wolkenkratzer – niemand lebte freiwillig ohne Lift im 20. Stockwerk oder noch höher. Ein ähnlicher Wandel vollzieht sich jetzt mit der Digitalisierung. Nur schneller. Nur heftiger. Das braucht Gestaltung.
Die dafür notwendige Avantgarde der Gestaltung findet sich, vernetzt sich. Es sind die, die Veränderung als Normalität begreifen, die Digitalisierung als Chance verstehen, die digitale DNA und zivilgesellschaftliches Herzblut mitbringen und verbinden. Problematisch: Es sind zu wenige. Und die Avantgarde gefällt sich noch zu sehr darin, in den eigenen Filterblasen zu verharren. In geschützten Räumen, in denen sich alle verstehen. Dabei gehört die Mode der quirligen Ballungszentren, in denen sich die Avantgarde aufhält, längst auf die Straße. Das Credo lautet: Runter vom Laufsteg, raus in den Alltag der Menschen, die die neue Sprache noch nicht verstehen. Open Government muss tragbar werden in Bielefeld, Wernigerrode, Wennigsen ebenso wie in Nebel und in Kreuth.
Noch befinden wir uns im Modus des Schaulaufens und der Modenschau. Stoff zur Verarbeitung gibt es: zahlreiche Modellkommunen experimentieren zur Zeit, wie sich Open Government gestalten lässt, es gibt Modellprojekte, es gibt das TOGI am Bodensee, es gibt Stiftungen – und es gibt Geldverdiener. Es fehlen jedoch kreative Schneider, also Handlung und Köpfe, die die Blaupausen vor Ort in den Alltag übersetzen und in die Breite bringen ohne dabei einfach nur zu kopieren. Ihre Aufgabe ist es, passend zu den jeweiligen „Trägern“ in den Kommunen eigene Garderobe zu entwickeln, die die Bedarfe und Lebensumstände der Menschen vor Ort kleiden.
Nicht nur tote Materie vernetzen
Gleichzeitig zur Mode „Open Government“ erleben wir eine andere „Mode“: Das Aufkommen von IoT – Internet of Things, die starke Präsenz von KI – künstlicher Intelligenz. Die technische Entwicklung und Vernetzung von „toter Materie“ ist mit dem Aufkommen von künstlicher Intelligenz und dem Internet der Dinge bereits etablierter als die gesellschaftliche Entwicklung dies für sich zu leisten vermag. Hier gilt es, den Anschluss der lebendigen Materie, der Menschen, nicht zu verpassen, um die Transformation zu gewährleisten, damit Teilhabe für alle gesichert bleibt. Menschen brauchen Wissen, Kompetenz im Umgang mit Digitalem, Lust, mitzumachen. Wir müssen Menschen vielmehr vernetzen als lediglich tote Materie. Es gilt, Ängste wahrzunehmen und abzubauen, an deren Stelle Befähigung zu verankern.
Wir stehen an einem Punkt, wo aus einer Modeerscheinung getrieben durch Wenige bereits ein Muss entstanden ist. Deutschland muss zu einem E-Deutschland werden, wenn der Lebensstandard der Bevölkerung so bleiben soll, wie er ist.
Open Data ist gekommen um zu bleiben
Im großen Themencluster Open Government zeigen sich Nischenthemen, die bereits tragbare Mode für die Gesellschaft bereitstellen. OpenData ist so eine Mode, die fest etabliert ist – Open Data geht nicht wieder weg. Um im Bild zu bleiben, könnte man sie glatt als modische und notwendige Unterwäsche bezeichnen. Das „Darunter“ ist bereits tragbar. Open Data ist gefällig – es passt ins Konzept von Wertschöpfung und Mehrwert. Die Wertschöpfung, die in dieser Thematik steckt, ist angetan, Veränderungen innovativ voranzubringen. Open Data als kreativer und agiler Treiber ist marktkompatibel und damit leichter zu verankern als weichere Faktoren des Open Government. Dieser Modetrend zeigt sich auf allen Ebenen: Datenportale mit Open Data finden sich sowohl in der EU als auch im Bund, in den Ländern und in den Kommunen vor Ort. Die Anhänger dieser Mode werden immer mehr, sie durchdringen auch die sonstigen Barrieren von Statistikern, Nerds, Codern und Rechenzentren. Sie finden Eingang in die zivilgesellschaftliche Community, die sich bundesweit bilden. Sie finden sogar Eingang in konkrete Gesetze, die zur Zeit zu Open Data erlassen werden. Ein wichtiger Treiber dabei waren und sind die OKLabs der Open Knowledge Foundation in Deutschland, die mit ihren Code for – Ansätzen sperrige Daten zum Leben erwecken. Sie werden in der Lage sein, die Bedenkenträger aufzufangen sowie die aufflackernde Diskussion in den Griff zu bekommen, dass manche Städte gern ein Preisschildchen an ihre Daten hängen möchten.
Öffentliche Daseinsvorsorge vitalisieren
Gleichzeitig erleben wir schon länger einen weiteren Trend: nämlich die wilde Entfesselung der Märkte und das gleichzeitige Zurücklassen der öffentlichen Daseinsvorsorge. Der Aspekt des Gemeinwohls muss neu aktiviert werden zum Wohle aller. Teilhabe aller gehört (wieder) in den Mittelpunkt. Mit den Instrumenten des Open Government stehen hier viele kreative Ideen und Werkzeuge zur Verfügung. Denn die digitale Transformation der Daseinsvorsorge ist die Nagelprobe für künftiges Verwaltungshandeln und ihre Fähigkeit, Schritt zu halten und zu gestalten. Warum sollte es einfacher sein, bei einem digitalen Onlinedienstleister eine Zimmerpflanze und Bücher zu bestellen als im eigenen Rathaus digital eine Meldebestätigung zu bekommen?
Schließlich richtet sich der Blick auf die Kommunen vor Ort. Hier gibt es keine avantgardistischen Laufstege. Mode wird hier zur passgenauen modernen Bekleidung modifiziert, wozu Kreativität, Agilität und Mut gefragt sind. Ebenso wie das neue Zusammenspiel zwischen Politik, Verwaltung und Zivilgesellschaft, die kooperativ schneidern müssen. Aus Mode wird in den Gemeinden und Städten ein Muss – vor Ort entscheidet sich die Zukunft der Gesellschaft. Kommunen kaufen keine Kleider von der Stange, zu unterschiedlich sind ihre jeweiligen Bedarfe, zu komplex die örtlichen Begebenheiten. Kommunen brauchen Experimentierräume, Freiräume, um die modischen Impulse zwar aufzunehmen aber in ihrer Eigenart umzusetzen. Kommunen brauchen Übersetzer von Schnittmustern aber gleiche Werkzeuge. Analog der Spannungsbögen zwischen Vergesellschaftung und Individualisierung können die Menschen vor Ort am besten erachten, welche Herausforderungen sie konkret angehen, um individuelle Antworten für ihre Lebenswelten zu entwickeln. Erste getestete gute Beispiele, wie das mit der Herangehensweise des Open Government gelingen kann, gibt es bereits. Beeindruckend ist hier etwa die Messung von Feinstaub in der Luft, wie es die Stuttgarter mit luftdateninfo.org organisiert haben. Datenevidenz in Bürgerhand, übertragen in visualisierte Bestätigung von bisher unbelegten Vermutungen von Luftverschmutzungen tragen dazu bei, dass die Diskussion um Dieselgate und die notwendige neue Mobilität ein ganz anderes Gewicht bekommen haben als es in all den Jahren zuvor als möglich erachtet wurde. Die flächendeckende Messung von Luftverschmutzung durch die Vielen erzeugt politischen Druck, der gleichzeitig auch zu einer Veränderung gesellschaftlicher Gewohnheiten beiträgt. Das ist eine neue Dimension.
Auch die Flüchtlingskrise etwa ist lediglich durch eine neue Form der Kooperation zwischen Staat, Politik und Verwaltung bewältigt worden. Weitere Beispiele finden sich u.a. in den anlaufenden kommunalen Modellprojekten, die in ihrer Wirkung nicht zu unterschätzen sind, da sie zeigen, wie vielfältig die Ansätze sind. Die Range reicht hier von der digitalen Anmeldung zu Ferienspielen bis zur Mitnahme einer Bevölkerung in der Großstadt in Fragen der Datengewinnung wie etwa in Köln, um die Lebensumstände vor Ort zu verbessern. Aspekte des Open Government at its best: bürgerzentriert.
Mit dem Open Government Manifest NRW, geschrieben von der Zivilgesellschaft um das Netzwerk #OffeneKommunenNRW, liegt zudem ein Schnittbogen vor, der mit seinen vier Prinzipien einlädt, für die eigene Kommune selbst zu schneidern, angefangen mit der Ermittlung der Akteure des Wandels vor Ort, über die Frage des Kulturwandels hin zur Offenheit über die Digitalisierung der kommunalen Infrastruktur zur Verbesserung der Daseinsvorsorge bis schließlich zur Einräumung von Freiräumen, in denen Menschen frei sind von Rollenzuweisungen und Konsumzwang im öffentlichen Raum.
Kriterien und Freiheiten
Und doch bleibt eine zentrale Frage bisher offen: Brauchen wir Kriterien für das Label „Open Government Kommune“ damit auch drin ist, was drauf steht? Ich meine: ja – auf jeden Fall. Wer sich Open nennt, muss das belegen können. Open Government darf nicht zum Altkleiderrestposten verkommen. Open Government muss messbar sein und trotzdem jeweils modisch up to date bleiben. Ein Kriterium könnte etwa eine jährliche Demokratiebilanz sein.
Cluetrain als Modetipp
Am Ende will ich einen Modetipp verraten: Die in Anlehnung an Luther 1999 von Levine, Locke, Searls und Weinberger veröffentlichten 95 Thesen des Cluetrain Manifestes wären ein hervorragendes Schnittmuster für Open Government: Vormals eine avantgardistische Modeerscheinung – sind sie heute auch mit den auf 121 erweiterten Thesen als NewClue in weiten Teilen Realität, Normalität und im Zentrum angekommen. Streicht man einfach den Begriff „Märkte“ und ersetzt diesen durch „Verwaltung“ und „Politik“, so finden sich viele wunderbare Anregungen für tragbare Mode im Zeitalter des Digitalen. So wie die Open Government Bewegung das mit ihren Inhalten auch realisieren kann: transparent, partizipativ und offen. Von der Mode zum Muss des Wandels als innovative Normalität. Ich ende gerne mit zwei Zitaten aus dem Cluetrain-Manifest: These 84 „Einige Leute aus eurem Laden kennen wir. Online verstehen wir uns ganz gut. Habt ihr noch mehr von der Sorte? Dürfen sie rauskommen und spielen?“ Und schließlich sollte These 117 aus den NewClues ein Anreiz sein, Mode für alle zu schneidern: „Wir, die Menschen des Internet, können noch nicht verstehen, wie viel wir gemeinsam erreichen können, da wir noch weit davon entfernt sind zu erfinden, wie wir zusammen leben können.“ Das ist ein passender Ansporn dafür: Open Government muss runter vom Laufsteg – rauf auf die Straße. Lasst uns das gemeinsam gestalten.
Zur Autorin: Dr. Anke Knopp, Jahrgang 1965, Politikwissenschaftlerin, Bloggerin und Autorin. Schreibt zur digitalen Transformation in der Gesellschaft. Weil das so komplex ist, sucht sie eingängige Bilder, die die hohe Theorie in die Praxis übersetzen helfen.
Den Vortrag zum Thema „Ist Open Government eine Mode oder ein Muss?“ anlässlich des Open Government Tag in München 2017 kann man hier online sehen: https://www.youtube.com/watch?v=fDdDbk3lyCc