Gastbeitrag von THOMAS LANGKABEL (@tlangkabel)
Zu meiner Rekalibrierung frage ich ab und zu einmal Bekannte außerhalb meiner digitalen Blase nach ihrem Verständnis von Begriffen, die wir innerhalb unserer Blase ganz selbstverständlich nutzen.
Neulich habe ich gefragt, was mein Gegenüber mit dem Begriff „Open Government“ verbindet. Er ist um die 30 und kommt aus der Versicherungswirtschaft.
„Irgendwas wegen der Öffnungszeiten? Dass ich rund um die Uhr… oder dass ich besser verstehe, was in der Verwaltung so abläuft?“
Ich habe dann mal innerhalb meiner digitalen Blase gefragt und habe die eher absehbaren Antworten bekommen, wie „Partizipation“, „Open Data“ und „Transparenz“. Und irgendwas mit „eGovernment“.
Ist es das?
Ist Open Government ein Update der Verwaltung, um ein paar Bugs hinsichtlich der Verschlossenheit, Unzugänglichkeit, Undurchschaubarkeit und dem Daten-Egoismus zu schließen? Und ist Open Government so eine Art jüngere Schwester von eGovernment, die sich ja liebevoll um die Digitalisierung der Verwaltung kümmert?
Oder kann Open Government nicht eigentlich ein notwendiges Upgrade der Verwaltung sein, wenn wir es etwas weiter definieren? Also eine Erweiterung um neue Funktionen, mit der sich neue Aufgaben und Herausforderungen lösen lassen?
Wie müssten wir es dann jenseits von Open Data, Transparenz und Online-Beteiligung verstehen und gestalten?
Wirkungsorientierung
Könnte Open Government nicht bedeuten, dass die Verwaltung offener dafür wird, welche Wirkung sie mit ihrem Handeln erzielt? Sich also von einer Input-Orientierung zu einer Output-Orientierung zu entwickeln? Wirkungen, Erfolge oder Misserfolge zu messen und daraus zu lernen? Prozesse zu optimieren, Ziele zu justieren, Ressourcen neu zu priorisieren und der Regierung als Auftraggeber der Verwaltung (egal ob Bund, Land oder Kommune) in Echtzeit Informationen zur Wirkung von Verwaltungshandeln und damit die Chance zur Korrektur zu geben? In der Vergangenheit hat zum Beispiel der IT-Planungsrat eine Vielzahl von Konzepten und Gutachten erarbeiten lassen und damit eine große Zahl „erfolgreich abgeschlossener Projekt“ generiert. Fragt man danach, wo denn diese Konzepte konkret umgesetzt wurden und welche messbaren Wirkung damit erzielt wurde, wird es übersichtlich. Sucht man heute nach Nutzerzahlen von eGovernment Diensten oder der Statistik der D115 Nutzung, sucht man vergeblich. Der Dienst wurde ja geschaffen, er ist prinzipiell da – Ziel erreicht. Fragt man danach, welche messbaren Ziele für den Erfolg des angestrebten föderalen Portalverbunds gesetzt werden, also in welchen Schritten und Größenordnungen Beitritte geplant werden, bis wann welche Zahlen bei Bürger- und Unternehmenskonten anstrebt sind – Fehlanzeige.
Feedback-Kultur
Könnte Open Government nicht bedeuten, dass die Verwaltung offener für Kritik und Feedback wird? Wer interessiert sich heute für meine Erfahrung und Bewertung der Inanspruchnahme von Verwaltungsleistungen? War ich zufrieden mit meinem Termin im Bürgeramt? Wenn nicht, was hat mich gestört? Sind Information schwer zu finden, ist ein Ablauf schwer zu verstehen? War mein Gegenüber unfreundlich? Welche Verbesserungsvorschläge habe ich? Warum kennen und nutzen wir solche Mechanismen inzwischen überall, nur nicht im Umgang mit der Verwaltung? Eine offene Feedback-Kultur wäre auch ein wichtiger Beitrag zur Wirkungsorientierung.
Arbeitskultur
Könnte Open Government nicht bedeuten, dass die Verwaltung offener für neue Arbeits- und Führungsmodelle wird? Warum ist die Mehrheit der Verwaltungsmitarbeiter in strenge Anwesenheits- und Kernzeit-Modelle gezwungen? Warum gibt es enge Quoten von „Telearbeitsplätzen“? Warum werden noch „Desktop“-Rechner beschafft anstelle grundsätzlich mobile Endgeräte zum Standard zu machen? Warum können Verwaltungsmitarbeiter nicht von zuhause genauso auf ihre Fachverfahren und Daten zugreifen wie vom Büro aus? Warum müssen Führungskräfte in der Verwaltung ihre Mitarbeiter in Reichweite haben, anstatt ihnen zu vertrauen, auch außerhalb ihrer Sichtweite Leistung zu erbringen? Warum ist „der kleine Dienstweg“ – also die Nutzung von Netzwerken statt Hierarchien zur effizienten Lösung von Problemen – eigentlich die Ausnahme statt die Regel?
Arbeitsteilung
Könnte Open Government nicht bedeuten, dass die Verwaltung offener für neue Formen der Zusammenarbeit mit Bürgern und Unternehmen wird? Es gibt hier doch bereits gute und erfolgreiche Beispiele, wie die Anliegen-Systeme oder Mängelmelder in einzelnen Kommunen. Können wir nicht dazu funktionierende Anreizsysteme schaffen, um die Nutzung und Verbreitung zu stimulieren? Und die Idee auf weitere Handlungsfelder übertragen? Und sie mit Feedback-Kultur und Wirkungsorientierung koppeln?
Fehlerkultur
Könnte Open Government nicht bedeuten, dass wir die Verwaltung zu einem offeneren Umgang mit Fehlern und zum Experimentieren befähigen, um aktiv neue Wege und Ideen auszuprobieren? Die heutigen Adaptionsraten von neuen Technologien, Organisationsformen und Erkenntnissen der Arbeitspsychologie in der Verwaltung sind inakzeptabel, die Kluft in der digitalen Transformation zwischen Verwaltung auf der einen Seite und der Gesellschaft und Wirtschaft auf der anderen Seite wächst stetig. Risikovermeidung, first time right, Null-Fehler – die Bleischuhe jedes Modernisierungsgedankens. Sollten wir nicht innerhalb der Verwaltung Experimentierbereiche und Labore schaffen, in denen Ausprobieren und häufiges Scheitern das Ziel sind? Fail fast – Fail often, zumindest in definiertem, geschützen Rahmen?
Durchlässigkeit
Könnte Open Government nicht bedeuten, dass die Verwaltung offener und durchlässiger für alternative Qualifikationen, Know-How-Transfer und Karrierepfade wird? In anderen Ländern ist ein zeitweiser beruflicher Wechsel vom Verwaltungsbereich in die Wirtschaft und umgekehrt deutlich einfacher als bei uns. So wird Know-How Transfer in beide Richtungen befördert, so werden Monokulturen von Qualifikationen vermieden und die Zementierung von Denkmustern aufgebrochen. Wer in der deutschen Verwaltung etwas werden will, sollte am besten Volljurist sein.
Leider gehören Fehlerkultur und Innovationsfreude aber nicht zum Curriculum in der Ausbildung zum Volljuristen. Könnten wir im Sinne von Open Government nicht zumindest damit anfangen, wechselseitige Volontariate, Hospitanzen oder Praktika zwischen Verwaltung und Unternehmen einzurichten und aktiv zu fördern? Natürlich mit Wirkungsorientierung und der Kontrolle messbarer Ergebnisse?
Ist das alles dann noch ein Upgrade, oder schon eine Neuentwicklung der Verwaltung? Wäre es nicht tatsächlich dringend nötig, sich einmal noch viel grundsätzlichere Gedanken darüber zu machen, ob die Staats- und Verwaltungsreformen, die unsere Verwaltung seit den Preußischen Reformen Anfang des 19. Jahrhunderts prägen, heute noch tragfähig sind? Damals gab es noch keine Elektrifizierung, keine Automobile und ein heute unerträglich anmutendes Denken in Obrigkeiten und Untertanen.
Open Government könnte auch bedeuten, offen dafür zu sein, die Verwaltung in all ihren Aspekten für das 21. Jahrhundert einmal neu zu denken.
Zum Autor: Thomas Langkabel, Jahrgang 1962, ist Ingenieur für Luft- und Raumfahrttechnik und hat als Offizier, Entwickler, Berater und Projektmanager aus verschiedenen Organisationen und Unternehmen heraus für die Öffentliche Verwaltung gearbeitet, aktuell als National Technology Officer bei Microsoft. Er ist Mitglied im Gesamtvorstand der Initiative D21 e.V. und arbeitet dort in den AGs Innovativer Staat und Digitale Ethik. Im BITKOM e.V. ist er stellvertretender Vorsitzender des AK Digitale Verwaltung. Twitter: @tlangkabel, Blog:http://www.langkabel.de/.