[Hier nun auch die vollständige Version des Artikels von Dr. Philipp Müller (@philippmueller) und mir – ursprünglich am 26.06.2012 im 21stCenturyIT-Blog von CSC veröffentlicht.]
Der öffentliche Sektor sieht sich seit geraumer Zeit verstärkt mit Veränderungsprozessen konfrontiert. Diese äußern sich in der zunehmenden Digitalisierung und Vernetzung aller verwaltungstechnischer Prozesse, in der Globalisierung der Fragestellungen, mit denen die Politik konfrontiert ist sowie in der zunehmenden Kritik an der Art und Weise wie Politik und Verwaltung mit der Bevölkerung interagieren.
Das Regierungsprogramm „Vernetzte und transparente Verwaltung” formuliert:
„Verwaltung braucht Vernetzung und Transparenz. Transparenz stärkt das Pflichtbewusstsein und liefert Bürgern Informationen darüber, was Verwaltung leistet. Sie ermöglicht auf diese Weise Partizipations- und Kollaborationsformen und bindet weit verstreutes Wissen der Gesellschaft in Entscheidungsprozesse ein.”
Wie setzt man das technologisch um? – Wir brauchen eine IT-Architektur, die Offenheit in die Prozesse “hineinbackt”.
Die Großwildherde der IT-Fachverfahren
Wie muss eine solche IT-Architektur aussehen, die Politik und Verwaltung als Plattform zur Öffnung und Vernetzung nach innen und außen dient? Welchen Kriterien muss eine Architektur der Offenheit genügen?
Betrachtet man die IT-Landschaften im Public Sector, stellt man fest, dass Institutionen eine zunehmend bessere Kopplung der einzelnen Fachverfahren bzw. Dienste erreichen können, wenn sie die zur Verfügung stehenden Architekturansätze und Technologien nutzen. Das Ergebnis ähnelt jedoch in vielen Fällen in gewisser Weise einer Großwildherde. Eine solche Herde (die IT-Architektur einer Organisation) besteht aus einzelnen, recht großen und mächtigen Tieren (die Systeme der Fachverfahren), die als fest zusammengefügte, in sich geschlossene Einheit ein vorgegebenes und festes Ziel (die technische Abbildung der von der Organisation benötigten Prozesse) verfolgt. Eine solche Herde ist nicht offen, sie geht mit Tieren von außen keine Verbindung ein – im Gegenteil: sie verschließt sich jedem Versuch von außen, sich einzelnen oder mehreren Tieren der Herde zu nähern.
An diesem Bild lässt sich leicht nachvollziehen, dass eine Architektur, die einer Großwildherde ähnelt, nicht geeignet ist, eine Strategie der Offenheit umzusetzen.
Der Abendhimmel über Rom
Wie sieht aber der Gegenentwurf zur Großwildherde aus? Auch hierfür findet sich in der Natur ein passendes Bild – und zwar am Himmel über Rom. Dort versammeln sich im Winter jeden Abend Millionen Stare, die sich zu riesigen Schwärmen formieren. Jeder Schwarm besteht aus einer Vielzahl kleiner, flinker und autarker Vögel, die sich nach Bedarf spontan und temporär zu dieser losen gekoppelten Gesamtheit verbindet. Dabei zeichnet sich der Schwarm durch die gleiche Offenheit und Fähigkeit zur Vernetzung mit weiteren Staren, aber auch Schwärmen, aus wie jeder einzelne Vogel. Diese Schwärme bilden sich jeden Abend neu und in neuer Zusammensetzung. Es gibt kein Leittier, keine feste Struktur und jeder der Vögel hat ein eigenes Ziel.
Die Art und Weise, wie die Stare sich zu Schwärmen zusammenfinden und wie sie in diesen interagieren, ist sehr viel offener als die von Großwildherden. Aber was macht die Offenheit und Fähigkeit der Stare zur spontanen, effizienten dezentralen Kollaboration aus? Es ist die Fähigkeit jedes einzelnen Vogels, sich mit anderen Vögeln zu vernetzen. Es gibt keinen Leitvogel, alle Vögel interagieren und koordinieren ihre Bewegungen lediglich mit ihren nächsten Nachbarn – nach sehr einfachen Regeln und über klare Schnittstellen.
Mashups, APIs, Cloud und Cyber
Und genau so muss eine Architektur der Offenheit funktionieren. Alle Organisationen müssen die Daten und Dienste ihrer Fachverfahren möglichst granular über einfache Schnittstellen bereitstellen, die nach außen für jeden verfügbar sind. Ist dies gewährleistet, so tritt die Organisation als Netzwerkknoten auf, der die durch ihn zur Verfügung gestellten Services den übrigen Netzwerkknoten zur Verfügung stellt. Nach innen können so die Geschäftsprozesse als leistungsfähige Service-orientierte Architekturen der Organisation selbst bereitgestellt werden, nach außen beteiligt sich die Organisation an offenen Wertschöpfungsketten als Provider und Konsument von autarken Services und von Datensätzen. Ähnlich den Staren, die sie sich über Rom zu Schwärmen zusammenfinden.
In der Welt des Web 2.0 werden solche Vernetzungen als Mashups bezeichnet: neue Lösungen, die sich aus der Kombination bestehender Services über einfache, granulare Schnittstellen – sogenannte APIs (Application Programming Interface, englisch für Programmierschnittstelle) – erstellen lassen. APIs, wie sie beispielsweise Facebook oder Twitter bereits sehr früh bereitgestellt haben. Diese Schnittstellen sind in Kombination mit offenen Datenaustausch- und Nachrichtenformaten der wesentliche Erfolgsfaktor, die hinreichende Bedingung für die Realisierung einer globalen Architektur der Offenheit.
Wir verfügen u. a. mit Architekturansätzen und Technologien wie SOA, XML-basierten Datenformaten wie XÖV, Open-Data-Plattformen wie CKAN, mit Big-Data-Lösungen und den vielen Open-Source-Komponenten durchaus über die erforderlichen Mittel, die zwingend erforderliche Architektur der Offenheit mit Cybersecurity-Technologien und Cloud Computing für den Public Sector sicher und leistungsfähig zu realisieren – wenn wir sie wirklich konsequent zur Anwendung bringen.
Jetzt ist der richtige Zeitpunkt – für den Perspektivenwechsel!